Mich faszinieren viele alte Friedhöfe. Die Grabsteine können manchmal ganze kleine Geschichten erzählen, wenn die Menschen dort ihre Berufe oder ihren sozialen Status drauf schreiben lassen, den sie zu Lebzeiten hatten. In Rokytnice spaziere ich in fast jedem meiner Urlaube über den Teil des Friedhofes, der alte deutsche Geschichte bzw. KuK-Geschichte erzählt. Auch in Vrchlabi, dem früheren Hohenelbe gibt es auf dem Friedhof solche alten Gräber.
Mancher war von Beruf Fabrikbesitzer und seine dort ebenfalls bestattete Frau war von Beruf "Fabrikbesitzergattin" oder "Fabrikbesitzerwitwe".
Das ist die Grabtafel in der Krypta. Ein Fabrikbesitzer, ein, Gastwirte aus dem und dem Ortsteil, ein Postmeister, Schuldirektor aus Oberrochlitz (heute: Horni Rokytnice) und ein Gasthofbesitzer.
Die Schreibweise "Jänner" statt "Januar" auf manchem Stein deutet auf die österreichische Zeit der KuK-Monarchie hin, zu der das Riesengebirge, also Böhmen einst zählte. "Respizient" der k.k. Finanzwache heißt: Er war Zollbeamter der kaiserlichen und königlichen Monarchie (Österreich-Ungarn)
Auf einem großen Stein sind noch Franz und Josef Hajek lesbar und Josef und Edgar Langhammer. Alles andere ist verwittert. Aber der Stein mit der sich öffnenden Tür ist beeindruckend.
Zwei Gräber auf dem Klosterfriedhof von Vrchlabi. Eines ist für Heinrich Wendt, der "im Jahre der Befreiung 1938" erster NSDAP-Bürgermeister war. Das andere ist Wenzel Weber, der schon seit 1888 hier liegt und zu Lebzeiten Stadtdekan und Bezirksschulinspektor gewesen ist.
Auf dem Südwestfriedhof bei Stahnsdorf war ich 2018. Dort liegen viele bekannte und berühmte Persönlichkeiten. Heinrich Zille, der Zeichner und Lithograph, der das Berliner Millieu - oder wie er sagte "Milljöh" am Beginn des 20. Jahrhunderts zeichnete. Der jung verstorbene Reichinnenminister Franz Bracht, der durch seinen "Zwickel-Erlass" bekannt wurde, also das 1932 verordnete Nacktbadeverbot und die Vorschrift, wie viel Körper von einer Badekleidung bedeckt sein muss. Ein Generalmajor, der - wie auch immer - in den letzten Tagen des 1. Weltkrieges starb, ein Offizier und die Gruft des jung verstorbenen Filmregisseur Friedrich Wilhelm Murnau.
Ich hatte lange nach dem Grab des Reichswehrministers, Generalleutnant Wilhelm Groener, gesucht und schließlich eine ganz bescheidene Granitstelle, umgeben von Unkraut und Brennnesseln gefunden. Groener faszinierte mich schon als Jugendlicher in der DDR. Er war viele Jahre Reichswehrminister in der Weimarer Republik. Eigentlich war Wilhelm Groener ein kaisertreuer Monarchist, der mit der Republik nicht viel anfangen konnte. Aber er war ein Beispiel dafür, dass eben nicht nur Kommunisten und Sozialdemokraten gegen den aufkommenden Faschismus kämpften, sondern auch durchaus Militärs. Nach dem Staatsstreich des Franz von Papen, der sich als Reichskanzler im Juli 1932 einsetzte, machte Groener ihm einen ungeheuer wichtigen Vorschlag. Groener schätzte den aufkommenden Faschismus als große Gefahr für die Republik und wollte die Reichswehr einsetzen, um, wie er sagte, "innerhalb weniger Wochen den braunen Spuk auf den Straßen zu beenden". Er meinte die marschierende SA Hitlers und er meinte die Zerschlagung der Machtstrukturen der NSDAP. Von Papen verbot ihm das. Wie die Geschichte weiterging, wissen wir. Vielleicht war Wilhelm Groener die letzte verpasste Chance, Hitler zu verhindern? Wir wissen es heute nicht.