Schwiegervaters Grab

JS ihr Vater starb mit nur 43 Jahren. Für seine jüngste Tochter ein dreifach einschneidendes Erlebnis. Zum einen hing sie sehr an ihrem Vater und zum anderen konnte sie sich nicht einmal von ihm verabschieden. Das 14jährige Mädchen kam an jenem Tag im April 1994 nach Hause und eine Nachbarin sagte, der Vater sei tot und sie solle schnell in das Leichenschauhaus laufen. Dort sah sie ihren Vater. Der dritte Schock war, dass durch den Tod des Vaters die Familie zerrissen wurde und materiell alles verlor. Für damalige Verhältnisse gehörten sie zu dem, was man bei uns eine "gutbürgerliche" Familie nannte. Lange war unklar, woran der Vater starb. An seinem Todestag feierten seine Arbeitskollegen und er etwas. Natürlich wurde gegessen, getrunken und man machte einen Spaziergang im Wald. Dort soll er von einer wilden Katze bzw. Wildkatze in den Finger gebissen worden sein. Später, wieder beim Tanzen, soll er auf der Tanzfläche mit den Worten "ich sterbe" zusammengebrochen und tot gewesen sein. Die wahrscheinliche Erklärung ist eine Blutvergiftung durch den Katzenbiss, der durch Alkohol und vor allem das Tanzen eine katalysierende Wirkung hatte. Als ich sein Grab auf dem Friedhof in Tscherkassi im Jahre 2000 sah, stand ein verwittertes Holzkreuz auf einem ärmlichen Fleckchen Erde. Wir gingen zu einem Steinmetz am Friedhof und suchten einen schönen Stein aus. Es war einer aus Beton, aber so schön gearbeitet, dass er wie Granit aussah. JS. besaß von ihrem Vater ein zerknittertes Familienfoto aus den 1980ern. Das war alles. Mit diesem gingen wir in ein Fotoatelier, ließen es mit einem guten Fotoprogramm restaurieren. Dann gingen wir wieder zum Steinmetz und sagten, dass er den Fotoausschnitt mit ihm in ein Emailleschild ätzen möge. Das gehört so ein bisschen zur osteuropäischen Friedhofskultur. Eine schöne Kultur, wie ich finde. Der Stein wurde aufgestellt und aus gleichem Material eine Umrandung des Grabes, das wir damals bepflanzten.

Im Jahre 2004, meiner Frau erschien der Vater immer noch häufig im Traum, ließen wir das Grab segnen. Das machte ein befreundeter Pope, der Ihor Mihailowitsch. Das anzusehen war übrigens auch eine interessante Zeremonie. Wir hofften, der Vater würde dadurch auch seine Ruhe finden und nicht mehr der Tochter so oft in ihren Träumen erscheinen.

Im Urlaub 2015 waren wir wieder am Grab. Es war zugewuchert und JS brach in Tränen aus. Die Mutter wohnte inzwischen im 200 Kilometer entfernten Kyiv. Wir haben das Grab wieder schön gemacht.