Aus den Erinnerungen aufgeschrieben von Marco Pavlik, jüngstem Sohn des Gründers und Lagerleiters Dieter Pavlik



Aufgeschrieben für Zwecke der historischen und kulturellen Erinnerung für das Museum der Stadt Waren-Müritz



Einleitung

Wenn man heute im Schwenziner Wald die Straße „Eldenholz“ fährt, kommt man etwa 1 km nach dem „Schloss Schwenzin“ an einem Einsiedlerhaus an. Bis in die 1990er Jahre stand dort das aus rotem Backstein befindliche kleine „Hexenhaus“ von Herrn und Frau Lübke. Vor dem Haus geht man einen Sandweg in Richtung Kölpinsee. Schon nach 25 Meter sollte man sehr aufmerksam linkerhand ins Unterholz gehen, um die vielen Artefakte des einst stolzen Zeltlagers „Erholung + Arbeit“ zu sehen und anfassen zu können. Ein Lager für Berliner Oberschüler von 1962 – 1989. Ein Sicherungskasten aus dem Jahre 1981 sieht man, bei genauer Beobachtung des Bodens findet man ein paar Meter tiefer im Wald die Fundamente der zugeschütteten Toilettengruppen. Auf denen standen je ein Doppelhäuschen für Jungs und Mädchen. Plumpsklos, was sonst. Aber immer blitzsauber. Es gab einen Plan, welche Erwachsenen (meistens die Ehefrauen der mitreisenden „Helfer“ [das Wort „Erzieher“ gab es nicht]) die Plumpsklos täglich mit einer Chemie „Wofalor“ und einer Wurzelbürste putzten.

Geht man aufmerksam weiter, sieht man an einer Birke eine Eisenstange quer in der Luft hängen. Das war einmal eine Kinderschaukel, die Peter Zeisberg, ein Kollege meines Vaters und Amateurfunker, so um 1973/74 gebaut hat. Der zweite Baum ist abgebrochen und liegt daneben. Ich erinnere mich, dass beim Probelauf der Schaukel mit meiner 8jährigen Schwester, durch das wilde schaukeln die Stange aus der Halterung rutschte und ihr auf den Kopf fiel. Mein Vater, Peter Zeisberg und ich fuhren mit meiner Schwester in die Poliklinik in der heutigen Fußgängerzone in Waren. Es war nur eine Platzwunde, die ein großes Pflaster bekam. Zum Glück – der Peter Zeisberg war völlig aufgelöst und fühlte sich schuldig, das Mädchen verletzt zu haben. Ich erinnere mich noch, dass er ihr dann gleich eine Tafel Schokolade kaufte.

Etwa 30-40 Meter tiefer im Wald findet man an 2 Bäumen vermosste Turnschuhe. Im August 1989 hatte das „Abbaukommando“, welches die Zelte abgebaut hat und den Lkw belud, ihre Schuhe auszogen und an die Bäume genagelt, auf dass sie bis zum nächsten Sommer dort hängen. Das ist nun 36 Jahre her.

Wie kam es zur Gründung des Zeltlagers?

In der DDR herrschte immer Arbeitskräftemangel. Das war auch in der Landwirtschaft. Mein Vater Dieter Pavlik (24.09.1935 – 11.02.2000) war Lehrer und hatte die Idee, für seine Schüler eine „Landpartie“ zu schaffen. Vielleicht erinnerte es ihn an seine eigenen Arbeitseinsätze als Junge 1945/46 bei Brandenburgischen und Mecklenburgischen Bauern, um in der schweren Nachkriegszeit an Essen zu kommen. Ich weiß nicht, durch welche Kontakte er auf das „Volkseigene Gut Schwenzin“ kam, aber das war 1962 der Start. Und im ersten Sommer gab es auch noch nicht das Zeltlager, dass hat sich wohl erst im darauffolgenden Jahr entwickelt. Manches kann ich nicht mit absoluter Sicherheit sagen, da mein Vater schon lange tot ist, meine Mutter nicht so detaillierte Erinnerungen hat und meine heute noch lebenden Geschwister erst 1963 und 1965 geboren wurden. Ich selbst wurde 1968 geboren und war 1970 das erste Mal im Lager und verbrachte meine kompletten Ferien.

 

bis zum Ende der Schulzeit dort und später auch als Lehrling und Wehrdienstler Teile meines Urlaubs bis 1989.

Im ersten Jahr war das VEG alleiniger „Arbeitgeber“. Es wurde Stroh gedroschen und auf hohe Gitterwagen verladen, Kartoffeln auf den um das Dorf liegenden Feldern geernet und es wurde in dem „Stelzenhaus“, das eine Kartoffelsortieranlage war, gearbeitet. Geschlafen wurde im ersten Sommer auf einem Heuboden.

Ein schwerer Unfall im Sommer 1962

Es kam 1962 noch zu einem schweren Unfall. Ein Gitterwagen war mit Stroh oder Heu hochbeladen und mein Vater sollte ihn mit einem Traktor zu einem Entladeort fahren. Einige der Schüler bettelten, sie wollen oben auf dem Stroh sitzend mitfahren. Das wollte mein Vater nicht, weil es gefährlich war. Aber die Schüler des 27jährigen Lehrers bettelten so eindringlich, dass er es erlaubte. Auf der Dorfstraße passierte gleich das Unglück. Wegen eines entgegenkommenden Fahrzeugs musste der Traktor ausweichen, der Anhänger begann zu schaukeln und fiel um. Ein Schüler hatte sich das Genick angebrochen, andere waren leicht verletzt. Die Eltern verklagten meinen Vater und es sah vor Gericht sehr schlecht aus wegen Verletzung der Aufsichtspflicht und ein angebrochenes Genick war auch nicht von Pappe. Es hätte mit Gefängnis enden können und die Eltern des Oberschülers drangen auf harte Bestrafung. Am Ende der Gerichtsverhandlung ging die Tür auf und der verletzte Schüler humpelte auf Krücken und noch mit Halskrause in den Saal, obwohl seine Eltern ihm einen Auftritt vor Gericht verboten hatten. Der Schüler erzählte die Geschichte des Unfalls und nahm seinen Lehrer in Schutz. Er machte vor Gericht glaubhaft, dass er ein so toller Lehrer war und sie so gebettelt hatten und er gar nicht nein sagen konnte. Na jedenfalls hat diese Aussage dazu geführt, dass der junge Lehrer und spätere Lagerleiter nicht verurteilt wurde. Diese Geschichte hatte auch sein jüngerer Bruder Wilfried Pavlik (1938 – 2010) mir gegenüber vor Jahrzehnten bestätigt, der in den ersten Jahren auch im Lager war.

Das Zeltlager

Das Zeltlager existierte stets in „drei Durchgängen“ über die gesamten Sommerferien. Es waren je Durchgang ungefähr 50 Oberschüler (zuerst ab Klasse 9) dabei. Die Jungs schliefen i.d.R. zu fünft bis sechst in einem großen „Armeezelt“. Für die Mädchen gab es kleine 2-Bettzelte mit Schlafkabine. Die Zelte waren rund um den Platz aufgestellt. Die Zelte für die „Erwachsenen“ (Helfer) du deren Familien zogen sich in den Wald hinein in Richtung der Bäume mit den Turnschuhen. Ich erinnere mich an etwa 10 – 12 Zelte, teilweise Familienzelte, teilweise 2-Personenzelte. Es waren immer um 10 „Helfer“ mit, die meisten mit Frauen oder Freundinnen und einige mit ihren kleinen Kindern. So konnten die4 also auch gemeinsam spielen, während die Schüler vormittags arbeiteten. Die Jahre bis etwa 1978 wurde für die „KAP Grabowhöfe“ auf den Feldern gearbeitet. Es wurde auf Kartoffelfeldern Melde gezogen (Unkraut), große Feldsteine gesammelt, damit die Landmaschinen besser durch die Felder kamen. Manchmal ging es für kleine Gruppen sogar bis auf die Felder nach Sommerstorf. Bis dahin war der offizielle Träger des lagern die „Abteilung Volksbildung bei Rat des Stadtbezirks Friedrichshain“ und die Direktorin der „Max-Kreutziger-Oberschule“ (MKO), an der der Lagerleiter als Geschichts-, Chemie-, Physik- und Forschungslehrer tätig war, Frau Beng oder Bengsch, inspizierte sogar einmal das Lager für 2 Tage. Mein Vater wollte aber von der Volksbildung weg, weil er mehr Geld für das Lager wollte, als diese zu zahlen bereit war. Also da ging es um neue Zelte, stets neue Campingliegen und Bügeleisen, Decken und natürlich das Geld, das für die Versorgung der Schüler ausgegeben werden durfte.

Mein Vater war ein sehr großzügiger Mensch, der – vielleicht auch in Erinnerung ans eine eigene karge Kriegskindheit – wollte, dass seine Schüler stets gutes und ausreichendes Essen hatten. In der gesamten Qualität hat sich dieses Zeltlager von jedem anderen Ferienlager massiv positiv abgehoben. Jeder konnte essen, so viel er wollte, es wurde weder Butter noch Wurst rationiert. Der Lagerleiter war auch ständig mit seinem alten Wolga, seinem Trabi oder dem Traktor unterwegs, um frische Tomaten für seine Schüler zu besorgen, manchmal auch andere Südfrüchte, für die man in Berlin sogar Schlange stehen musste und von denen die Dorfbewohner nur träumen konnten. Es war schon seltsam in der DDR; die Dorfbewohner, in deren Umgebung Tomaten und Erdbeeren wuchsen, bekamen kaum solche in ihrem Dorfkonsum. Wenn mein Vater für die Schülerküche mehrere Stiegen Tomaten irgendwo „abgestaubt“ hatte, brachte er immer eine oder zwei in den Konsum, schenkte sie der Konsumverkäuferin, die dann etwas für die Familien im Dorf hatte. Die meisten Schüler waren auch aus jener „MKO“, einige kamen in den 1970ern noch aus Weißensee von einem befreundeten Lehrer und aus Mitte, wo meine Mutter Lehrerin war).

Die Versorgung (Vollverpflegung) der gesamten Lagerbewohner erfolgte in dem „Essenbau“, also dem Sozialbau (ist heute ein etwas verändertes Wohnhaus), in dem auch die Arbeiter aus dem Dorf und ihre Familien essen gingen. Ich habe noch eine sehr gute Erinnerung an die Köche, die leider alle tot sind. Da war in den frühen 1970ern noch die alte Frau Sasse, eine zu Kindern sehr herzliche Frau, die gut kochen konnte. Als Beiköchin war eine Erika Raages beschäftigt, eine dünne, fast dürre Frau von um die 40 mit einem „Apfel im Hals“ und unheimlich starken Brillengläsern. Einige der Kinder haben diese unheimlich liebe Frau, die zu Kindern immer herzlich war, in ihrer Abwesenheit veralbert: „ich bin das Küchenwunder aus der Wunderküche“. Erika Raages war, glaube ich, die Schwester der nebenan wohnenden Frau Tews. Frau Tews war auch nett und brachte 140 Kilo auf die Waage. Das wurde im Konsum mal aus Jux probiert. Die Gewichte der Waage hatten nicht ausgereicht, also wurden noch Zuckertüten dazugestellt. Später war die Köchin Frau Frieda Mahnke, ihr Mann war Elektriker im VEG und kümmerte sich aus Freundschaft auch um die Elektrik im Zeltlager. Frieda Mahnke starb im Winter 2020. Ich habe sie 2019 und 2020 noch besucht in ihrem Haus und wir haben über die alten Zeiten geredet. Ich habe sie auch auf ihrem letzten Weg auf dem Friedhof in waren begleitet.

Die Ausstattung des Zeltlagers

Die Romantik dieses Lagers bestand sicher auch in der urigen Primitivität. Bis Ende der 1970er Jahre gab es kein wirkliches elektrisches Licht. Zu Beginn des Sommers ging mein Vater in das „Hexenhaus“ – die Frau Lübke war wirklich gegenüber Kindern sehr knarrig – und bekam von dem alten Herrn Lübke Strom. Da wurde eine endlose Verlängerungsschnur in die Steckdose in deren Schlafzimmer gesteckt und über die Bäume ins Lager gelegt. Das reichte gerade so, um im „Erwachsenenbereich“ ein paar Funzeln mit höchsten 40-Watt-Birnen aufzuhängen. In unserem Zelt gab es den einzigen Kühlschrank, in den andere Familien auch etwas reinstellen durften. Vor unserem Zelt war eine „Vorratskiste“ aus Aluminium mit einem Deckel und Klippverschlüssen in die Erde eingegraben. Die übernahm ein bisschen die „Kühlschrankfunktion“ und wenn es besonders war, wurden nasse Handtücher auf den Deckel gelegt.

Waschen mussten sich die Schüler an einem selbst gezimmerten Regal im Freien in emaillierten Schüsseln. Für die Mädchen gab es ein Waschzelt. Das Wasser kam aus einem Wasserwagen. Das war ein Traktoranhänger mit einem 2000 – Liter Kessel drauf. Das reichte immer für 2-3 Tage. Dann wurde der Traktor angespannt und der Wagen im Dorf an einem Hydranten vollgemacht. So wurde auch Wäsche gewaschen. Für das Zeltlager wurde ein Traktor abgestellt und ein „Leuteanhänger“. In den ersten Jahren war das vom VEG ein „Famulus“ ohne Dach, den meistens der Lagerleiter fuhr. 1 oder 2 Jahre gab es auch einen Lkw, einen alten H3A mit Leuteaufbau, den mein Vater fuhr. Ich fand das unheimlich spannend, mit diesem Lkw, sogar auf dem Schoß meines Vaters und das Lenkrad anfassen dürfend, über die lange Schnauze über die Sandwege zu donnern.

Die KAP Grabowhöfe gab immer einen alten „Belarus“. Die Schüler wurden bei schlechtem Wetter mit dem Leutewagen zu den Mahlzeiten ins Dorf gezottelt oder zu einem Ausflug ins Wisentgehege oder auch mal zu einem Stadtbummel nach Waren. Bei schönem Wetter verlangte mein Vater, dass die Schüler den kurzen Weg durch den Wald zum Essenbau liefen. Manchmal zog er die Mädchen mit dem Traktor und die Jungs mussten laufen. Es waren nur etwa 1 Kilometer durch die so genannte Schneise an der Wildschweinsuhle vorbei. Ich bin den Weg 2019 noch einmal gegangen und habe ihn wiedergefunden, auch wenn die Bäume natürlich in den Jahrzehnten größer und dicker geworden sind.

Wir waren bei der Beleuchtung. Es gab also für den „Schülerbereich“ kein wirkliches elektrisches Licht. Auf dem Platz waren tatsächlich abends Petroleumlampen angehängt, die von den Erwachsenen angezündet und zur Schlafenzeit wieder ausgemacht wurden. An vielen Stellen waren Feuerlöscher an die Bäume gehängt, denn fließendes Wasser gab es nicht. Die Kontrollgänge machte die Nachtwache auch mit einer Petroleumlaterne in der Hand. Die Nachtwache sollte aufpassen, dass keine Jungs in die Mädchenzelte gingen und auch auf eventuelle Wildschweine im Lager oder fremde Personen. Einmal in den späteren 1970ern gab es eine Warnung des ABV. Das war ein Herr Schläfke, der mit seiner Schwalbe regelmäßig ins Zeltlager geknattert kam. Es soll sich ein blonder Mann in den Wäldern herumtreiben und die Mädchen sollten vorsichtig sein. Das ging einige Wochen so. Mein Vater ordnete an, dass die Mädchen sich nur noch zu dritt oder in Begleitung mindestens eines der Jungen durch den Wald bewegen durften und die Jungs selber zu zweit sein mussten. Das war richtig spannend und stets Stoff für Kriminalgeschichten, die man sich erzählte. Die Nachtwache und die Lagerwache war auch stets mit einem Buchenholzknüppel „bewaffnet“. Die Knüppel gab es von dem Forst und waren eigentlich zum Ausasten gedacht, bevor die Waldarbeiter mit ihren Motorsägen dann die Bäume fällen konnten. „Lagerwache“ hatte übrigens auch immer tagsüber 1 Mann oder 2 Frauen von den Helfern. Die mussten z.B. aufpassen, dass keine Diebe in die Zelte stiegen, während die Schüler vormittags arbeiteten oder wenn diese am Wochenende zum Essen im Dorf waren. Die Lagerwache bekam dann ihr Essen in einem Essenträger aus Aluminium aus der Dorfküche mitgebracht.

Die Laube

Am Rande zu Koppel befand sich die „Laube“. Das war ein Lattengerüst mit einer als Dach bespannten Plane und einem langen Holztisch und Holzbänken. Ab 1980 wurde eine „professionelle“ Laube spendiert, die ein Dach aus Wellbitumen hatte und als regen- und Windschutz brusthohe Holzwände zu drei Seiten. Darüber wurde transparente Plane als „Fenster“ gespannt. Das war als „Treffpunkt“ für die Schüler gedacht, wenn sie Kartenspielen oder quatschen wollten. Dort durfte auch geraucht werden. Zur Toleranz meines Vaters, der wusste, man kann nichts wirksam verbieten, gehörte die Erlaubnis ab dem 16. Lebensjahr in der Laube zu rauchen. Wer jünger war durfte rauchen, wenn er von den Eltern eine Erlaubnis mitbrachte. An diese Großzügigkeit war aber wegen der Brandgefahr ein striktes Rauchverbot im Zelt und im Wald gekoppelt. Hat im Prinzip gut funktioniert.

Kino, Baden, Tod im See, Lagerfeuer mit Arthur Conan Doyle und Disko mit Knut Fischer

Zu den Attraktionen dieses Zeltlagers gehörte, dass mein Vater in jedem der drei Durchgänge Filme zeigte. In der Laube wurde ein großes weißes Laken an den Bäumen als Bildschirm gespannt und auf dem Tisch stand ein alter Filmprojektor mit gro0en Filmrollen. Die Kinoabende waren stets rappelvoll. Alle wollten „Die Kreuzritter“ sehen oder „Robin Hood“ und „Die Schlacht auf dem Eis des Peipussee“ oder auch Western, wie „Zähle deine Kugeln“. Manchmal schmorte der Film, dann wurde er schnell mit Klebeband wieder geflickt und weiter ging es. Ich „musste“ die Filme meistens von Hand auf den Spulen zurück kurbeln, damit er das nächste Mal wieder abgespielt werden konnte.

In der Laube fanden auch „Versammlungen“ statt. Also mindestens zu Beginn eines jeden Durchganges stellte der Lagerleiter sich und alle Erwachsenen vor und welche Rolle sie hatten. Also z.B. Frau Jakob in der Küche und Herr Bockisch als Helfer in der Forst … es wurden die Regeln bekanntgegeben, z.B. die mit dem Rauchen und wo es Verbandskästen gab und wie es mit dem Baden und dem Rettungsschwimmer war. Die eigene Badestelle am Kölpinsee war etwa 100 Meter entfernt und viele Jahre gab es einen selbst gebauten Steg. Heute ist alles zugewachsen. Einer der Helfer, der schon als begeisterter Schüler dabei war, hatte die Funktion des Rettungsschwimmers und die Schüler durften nur mit ihm bzw. ins Wasser. Aber auch das war alles sehr großzügig geregelt.

Obwohl der Kölpinsee sehr flach ist, gab es verschiedene Erzählungen über dessen Gefährlichkeit. Zum einen sollte man , aus dem Schilfgürtel kommend, nie zu weit nach rechts in Richtung Damerower Werder gehen oder schwimmen, weil dort das 60 m tiefe Loch ist, in das man dann runtergezogen werden kann. Die Geschichte hielt sich bis zur „Erfindung“ des Internets, wo man dann selbst die Gewässertiefe des Sees sehen konnte und dass dieses Loch nur 30 Meter tief ist.

Die zweite Erzählung war; wenn ihr zum Bootskanal nach links durch das Wadentiefe Wasser geht, passt auf, denn am Kanalende, wo die Boote rausfahren ist eine tiefe Fahrrinne. Die gab es wirklich. Auch wussten wir um das ertrunkene Mädchen. Es muss in der ersten Hälfte der 1960er Jahre gewesen sein, wo Mädchen aus dem Dorf badeten und die halbwüchsige Tochter des VEG-Kraftfahrers Rolf Marquart ertrank. Sie geriet der Erzählung nach in einen Strudel und konnte nicht mehr auftauchen. Der eigene Vater hat seine Tochter später aus dem Wasser getragen, als die anderen Mädchen hilfesuchend ins Dorf rannten. Er war übrigens ein unheimlich kinderlieber Mann, der Rolf Marquart – auch zu uns Kindern des Lagerleiters.

Zwischen dem Zeltlager und der Badestelle gab es auf der Wiese eine Stelle, an der stets Lagerfeuer gemacht wurde. In der Regel 1 – 2 mal pro Durchgang an einem Freitagabend. Das war eine richtig große Feuerstelle von 3-4 Meter Durchmesser, auf der richtig große Baumstücke verbrannt wurden. Man setzte sich um das das Feuer auf die Wiese oder auf Decken. Irgendeiner hatte immer eine Klampfe dabei und spielte oder eine Mundharmonika und es wurde auch gesungen, Schlager wie „Du kannst nicht immer 17 sein…“ oder auch „Auf der Festung Königstein…“ Zu fortgerückter Stunde hatte der Lagerleiter immer das Wort. Alle lauschten gespannt, wenn er „Gruselgeschichten“ erzählte. Es waren meistens Kriminalgeschichten aus Büchern von Arthur Conan Doyle (Sherlock Holmes) oder Geschichten wie „der drei-Knochen-Fall“ aus Büchern „Die Sprache der Toten“ und „Die Spuren der Toten“, die mein Vater gelesen hatte. Wenn dann gegen Mitternacht das Feuer ausging und alle die etwa 80 Meter zum Zeltplatz liefen hatten manche Mädchen noch Gänsehaut und kreischten, wenn sie jemand von hinten berührte.

Wer einmal in dem Lager war, bewarb sich sehr häufig auch für das nächste Jahr gleich wieder, einfach weil dieses Lager die schönsten Ferien für Berliner Schüler und überhaupt nicht mit anderen Ferienlagern der DDR vergleichbar waren. Es gab viele, die kamen noch mit Anfang 20 dann als Helfer in ihrem Urlaub mit.

Zum Wohlfühlen gehörte auch die Disko im Wald, die ebenfalls 1-2 mal pro Durchgang an einem Freitagabend oder Sonnabendabend stattfand. Die ersten Jahre wurde die Musik selber abgespielt. Ich erinnere mich an einen Schüler Uwe Kliemann (der heute bestimmt an 70 Jahre alt ist), der als „Diskjockey“ die Musik machte. Getanzt wurde auf dem sandigen Platz vor der Laube. Wenn sich regen abzeichnete, wurde am Nachmittag großflächig Plane zwischen den Bäumen gespannt, um beim Tanzen nicht allzu nass zu werden. Und auch hier war Dieter Pavlik sehr großzügig. Nachtruhe war erst, wenn keiner mehr Lust zum Tanzen hatte. Die Disko ging gleich nach dem Abendbrot los, also vor 19.00 Uhr und bei guter Stimmung ging die durchaus auch mal bis 02.00 in der Nacht.

Im Lager gab es Gründen des Gesundheitsschutzes ein striktes Alkoholverbot für unter 16jährige. Als Gegenleistung durfte aber jeder (auch die Mädchen) an einem Diskoabend oder am Lagerfeuer eine 0,33er Flasche Bier trinken. Meistens war es das „Helle“ oder „deutsches Pils“. Na ja und bei einem zweiten Bier für die Jungs war auch alles o.k. Wer aber diese Großzügigkeit ausnutzte und Schnaps oder Wermut ins Lager „schmuggelte“, musste mit Konsequenzen rechnen. Die sahen so aus: der Lagerleiter nahm im Beisein des Besitzers die Flasche, goss sie aus und ordnete an, dass er am nächsten Morgen nach Hause fuhr. Die Eltern wurden per Telegramm informiert. Wenn Schüler in waren nach dem Kinobesuch dort noch ein Bier tranken oder Mädchen einen Wein, blieb das so lange ohne Konsequenzen, wie sie nicht betrunken ins Lager zurückkamen. Ganz leichte Fahne wurde also noch toleriert.

Ab den späten 70ern kam ein „richtiger Diskjockey“ in den Wald. Knut Fischer aus Waren machte Musik und zeigte die ersten „Musikvideos“ der Welt – was z.B. Bilder mit Oldtimer-Autos usw. waren. Knut Fischer blieb dem Lager bis 1989 als „DJ“ treu.

Veränderungen mit der Forst

In der 2. Hälfte der 1970er Jahre hatte mein Vater die faxen dicke mit dem geiz der Volksbildung und außerdem weigerte er sich eine DDR-Fahne am Fahnenmast auf dem Lagerplatz zu hissen. Davor war ab und zu die FDJ-Fahne, die kraftlos am Kiefernstamm baumelte ein Kompromiss mit der Obrigkeit. Er suchte andere Partner und fand diese – vermittelt durch seine Freundschaft mit dem damaligen Oberförster Jochen Dittrich – im staatlichen Forstbetrieb und im Feldbaubetrieb Waren. Die konnten Geld locker machen und viele Sachen wurde für das Lager angeschafft und gebaut. Zum Beispiel kam eine richtige Wasserleitung (vom Schloss Schwenzin abgezweigt) und ebenso eine richtige starke Stromleitung. Ich denke mal, beides liegt noch immer in der Erde. Die Wasserleitung wurde 80 cm tief eingegraben. Den Graben schaufelten die Schüler selber mit großem Enthusiasmus. Damit wurde auch ein „moderner Waschplatz“ gebaut, wo bis dahin der Wasserwagen stand. Ein echtes Betonfundament mit „Freiluftduschen“ und eine Gastherme, die über Propangas gespeist wurde. Der Beton müsste noch dort sein, ich habe ihn noch 2010 unter dem Laub gefunden, in späteren Jahren nicht mehr. Für die Mädchen wurde das warme Wasser ins Waschzelt gelegt. Strom war plötzlich im Überfluss da. Alle Schülerzelte erhielten eine eigene Glühbirne, auf dem Platz und auf dem Weg zu den Erwachsenenzelten wurden Campinglampen an die Bäume gehängt. In mehreren Zelten gab es nun kleine Kühlschränke. In den Zelten der Erwachsenen gab es aber wie eh und je Propankocher und eine 10-Kilo Gasflasche.

Gearbeitet wurde nun für die Forst im Wald, auf dem Feuerwachturm an der Revierförsterei Jabel (ich kenne noch den damaligen Revierförster Lauterbach sehr gut, der Mitte der 1980er nach Berlin ging und in einer Kaufhalle arbeitete) und auch bei Revierförster Meyer im Wisentgehege und natürlich auf den Erdbeer- und Rübenfeldern von Waren oder in den Gewächshäusern des Feldbaubetriebes.

Ab jetzt Wildschwein zur Disko

Für jeden Durchgang brachte Oberförster Jochen Dittrich ein von ihm geschossenes Wildschwein (später durfte es erst nach der Fleischbeschau von der Hygiene geholt werden). Es gab einen ehemaligen Schüler, der lernte Fleischer und der zog dem Wildschwein das Fell ab und wer wollte, konnte zusehen. Das Wildschwein wurde Kopfüber an den Balken der Laube aufgehängt. Dann wurde das geschnittene Fleisch in die Küche ins Dorf gebracht mit Gurke, Zwiebel und fettem Speck (was mein Vater alles besorgte) zu hunderten Schaschliks verarbeitet. Ich meine, es waren immer so um die 400 Schaschliks. Ein paar nette Worte und irgendein Deal mit der Küchenchefin Frieda Mahnke und sie warf die große Kippbratpfanne an und hat die Schaschliks alle vorgebraten. Das war nötig, weil auf einem Holzkohlegrill das Wildschwein nie richtig gar geworden wäre. Dann wurden die Spieße in große Thermophore gelegt und zur Disko ins Lager gebracht. Dort wurden sie dann romantisch auf dem Holzkohlegrill knusprig gegrillt. Für die „Erwachsenen“ waren immer noch etwa 30-40 Wildschweinsteaks dabei, die sie dann später in ihren gemütlichen Runden grillten.

Unsere (2021 verstorbene) Küchenfrau Gitta Jakob (eine Freundin meiner Eltern) machte aus den Wangen des Wildschweins die leckerste Sülze, die es je auf dem Planeten gegeben hat. Das war meistens so eine 5-Liter-Emaille-Waschschüssel voll Sülze.

Achtung Giftpilze

Das erstgeborene Kind des Lagerleiters Dieter Pavlik starb 1962 mit 6 Jahren an einer Pilzvergiftung. Der kahle Krempling galt damals noch nicht als Giftpilz. Da auch die Mutter damals fast gestorben wäre, waren Pilze jeder Art in unserer Familie viele Jahre tabu. In den Schwenziner Wäldern wuchsen aber herrliche Pilze. Etwa der „Schirmpilz“, den man mit dem Panterpilz verwechseln konnte. Manchmal hatten wir Schirmpilze gesammelt und nur den Schirm mit Salz und Pfeffer in Butter gebraten. Schmeckte wie ein zartes Schnitzel. Das war dann ab Ende der 1970er Jahre. Eine andere über Jahrzehnte mitreisende Frau (Gitta Jakob) war eine Pilzkennerin, die schon mit ihren Kindern viele Pilze sammeln ging und dann auch zubereitete. Bis Anfang der 1980er Jahre kam mehrmals ein „Pilzberater“ ins Zeltlager. Das war ein älterer Mann mit nur einem Arm. Ein sehr freundlicher Mann, der uns mittels Bilder genau die Pilze erklärte. Uns kleine Kinder faszinierte natürlich, wo denn der Arm sei. Der Pilzberater erklärte uns Kindern lächelnd, dass ihm der im Krieg abgeschossen wurde.

Für die Schüler war Pilze sammeln verboten, aber nicht als stupides Verbot, sondern der Lagerleiter gab sein Wissen weiter und warnte bildhaft im Gespräch vor z.B. den Knollenblätterpilzen.

Wisentgehege, Eis und „Kuhtreiben“

Als kleiner Junge erinnere ich mich noch an das ganz alte Wisentgehege, welches einen schwachen Holzzaun hatte, den die Wisente ein paar Mal durchbrochen hatten. Eines Vormittags als die Schüler arbeiten waren und nur die Familien, also etwa 10 Erwachsene und ebenso viele Kinder im Lager waren, standen ein halbes Dutzend Wisente auf dem Zeltplatz. Unsere Mütter versuchten uns schnell auf Bäume in Astgabel zu heben, einige größere Kinder kletterten auf einen Baum – so etwa 2 Meter hoch. Die anwesenden Männer steckten ihre Frauen hinter Bäume und „bewaffneten“ sich mit Spaten und Spitzhacken von der Feuerlöschtafel. Im Ernstfall hätten sie damit nichts ausrichten können. Die Wisente schnaubten und trabten durch das Zeltlager und knickten die eine oder andere Zeltstange ein. Das wars, vom großen Abendteuer für uns Kinder abgesehen. Insgesamt waren die Wisente zweimal in Richtung Zeltlager ausgebrochen.

Etwas Ähnliches gab es Jahre später noch einmal. Auf der am Zeltlager angrenzenden Pferdekoppel waren oft Pferde, manchmal aber auch Kühe. Als ich ungefähr 10 Jahre alt war ging ich mit drei anderen Kindern auf die Koppel und wir hatten einen ungemeinen Spaß, wie uns die vermeintlichen braunen und schwarzen Kühe gehorchten, die wir mit leichten Gertenschlägen (wirklich ganz leicht!) auf der riesigen Koppel hin- und her dirigierten. Auf einmal rief eine Stimme vom Zaun, wir sollen ganz schnell hergelaufen kommen. Am Koppelzaun standen mein Vater und zwei andere Männer, wieder mit Spaten und Spitzhacke und schüttelten den Kopf und sagten: das sind keine Kühe, das sind Bullen und habt ihr mal darüber nachgedacht, was passiert wäre, wenn die sich plötzlich umgedreht hätten und auf euch losgegangen wären? Nee, soweit hatten 8 und 10jährige Jungs nicht gedacht.

Als dann das neue, heute noch bestehende Gehege gebaut wurde, gehörte es zu den Freizeitattraktionen für die Schüler. In jedem Durchgang organisierte der Lagerleiter an einem Nachmittag eine Traktorfahrt (er musste zweimal fahren) dorthin. Anschließend spendierte er aus der Lagerkasse Eis für alle. Das gab es in dem Eiscafé „Quisiana“ am Jabeler See. Ich halte noch heute, in den 2020er Jahren dort regelmäßig auf meinen eine Woche dauernden Fahrradurlauben in der Region, um mir mindestens einmal ein Softeis zu gönnen.

Ostseetour mit Heinz Koch und Geschichtsunterricht im Bus

Der Lagerleiter war stets bemüht, den Schülern das schönste Ferienlager ihres Lebens zu bereiten. Dazu gehörte auch an einem Sonnabend in jedem Durchgang eine Tagestour auf die Insel Usedom nach Zinnowitz. Die Schüler fuhren mit einem kleinen (Benzin)Bus der KAP Grabowhöfe, den der liebevolle alte Kraftfahrer (Heinz) Koch steuerte. Im Bus wurde gesungen und Swar immer Stimmung, von „auf der Festung Königsstein“ bis zu Spottliedern auf Mitschülerinnen, die irgendwie angeeckt sind, wie „Auf der Mauer auf der Lauer sitzt eine kleine [Sabine]. Seht euch mal Sabine an, wie Sabine petzen kann…“ Der Lagerleiter betätigte sich auch als geschichtskundiger Reiseleiter. Er konnte erklären, dass man an Namensendungen -zin oder -in oder -ow etwa den slwaischen Ursprung einer Siedlung erkennen konnte, z.B. Berlin, Demmin usw. Und wenn wir durch alte Städte, wie Demmin fuhren, konnte er genau erklären, was das Besondere an dem alten Stadttor war, welche Kriege in und um Demmin im Mittelalter stattfanden usw.

In Zinnowitz gab es dann Mittagsessen in einer Gaststätte und ein paar Stunden Freizeit am Strand oder auf der Strandpromenade, bevor es am späten Nachmittag wieder mit Herrn Kochs Bus zurückging. Dieser Heinz Koch, der der Ehemann der Konsumverkaufsstellenleiterin (Ilse) Koch war, starb leider zu früh während einer Fahrt in seinem Bus an einem Herzinfarkt noch Ende der 1970er Jahre.

In den darauffolgenden Jahren wurde die Ostseetour dann auf Warnemünde umgestellt, weil es keinen Kraftfahrer und keinen Bus mehr gab. Wir fuhren mit dem Zug an die Küste. Das fand auch bis 1989 statt.

Reiten, Reitturniere und Kutschfahrten

In den ersten Jahren war Schwenzin noch eine Art Gestüt. Jedenfalls gab es eine Menge Pferde im dazugehörenden Pferdestall, einem alten Feldstein-/Backsteinbau gegenüber der Schmiede. Manche der Frauen ritten gern auf einem Pferd und meine Mutter und meine älteste Schwester konnten ganz gut reiten. Auch darüber verstanden sie sich mit dem damaligen langjährigen „Gutsdirektor“ Siegfried Richter, der meistens in Stiefelhosen durch sein Gut ging. Mitte der 1970er ging die Familie Richter nach Redefin und es kamen diverse Gutsdirektoren, zu denen es keine besondere Beziehung mehr gab. Zu ihnen gehörte ein Herr Sponagel. Übrigens empfanden wir Kinder den Hauptbuchhalter des VEG, einen Herrn Seemann, als wenig angenehmen Menschen, weil er zu Kindern immer grummelig war. Er fuhr einen alten Trabant 500 und war auch bei den Köchinnen des Dorfes nicht sonderlich beliebt – auch wegen seiner Ansagen, dass z.B., wenn es neue Kartoffeln gab, aus Sparsamkeitsgründen diese nur als Pellkartoffeln zu jedem Gericht gemacht werden durften.

Es folgen noch Kapitel zu:

 

Vielister bei der Disko

Schmiede, baginski

Peter Bahnemann

Schloss Klink

Zahltage

Nachtwanderungen, Gutsgräber

Küchenarbeit

Kartoffelschälwettbewerb

Tüte blaue Bohnen

Fußballturniere

Rolf Marquart, Siegfried Richter, Erich und Anna Baginski, Familie Essenburg, Gutsdirektoren