Ehrungen der Gewerkschaftsjubilare
In Potsdam war es seit 1991 üblich, die Gewerkschaftsmitglieder in einer Feierstunde zu ehren, die 25, 40, 50, 60 oder mehr Jahre die Treue hielten. Das war für mich "Chefsache" Ich habe die Laudatio selbst geschrieben, ich habe das Programm ausgesucht und habe die Laudatio auf die Jubilare gehalten und die Ehrung vorgenommen. Bei den großen Veranstaltungen kamen manchmal 100 und mehr Jubilare, die teilweise bereits über 80 waren. Einige meiner Gewerkschaftssekretäre und Mitarbeiterinnen unterstützten mich mit großem Fleiß bei der Vorbereitung und Durchführung dieser Veranstaltungen.
Die Laudatio war meistens kurz, ca. 15 Minuten freie Rede, ein paar persönliche und ein paar politische Gedanken. Für die Ehrung ließ ich eine Präsentation für jeden Jahrgang ablaufen. Für jeden Kalendermonat in dem einstigen Eintrittsjahr erinnerte ich an ost- und westdeutsche oder weltweite Ereignisse aus Politik, Sport, Kriegen oder Ereignisse um besondere Persönlichkeiten. Ich konnte sehen, wie die Jubilare fasziniert die Präsentation an der Wand verfolgten und immer wieder nickten, weil sie sich daran erinnerten "...ach ja, da flog Gagarin in den Weltraum" oder "genau, da ging das ZDF an den Start" oder "stimmt, da wurde John F. Kennedy ermordet..."
Ich war nach dem etwa zwei Stunden dauernden offiziellen Teil ziemlich knülle, auch weil ich Hundert Hände geschüttelt habe, hundert mal in die Kamera gelacht habe und für jeden, für wirklich jeden Jubilar ein paar persönliche Worte sagte. Sie sollten sich wohl fühlen, gern hier gewesen sein und glücklich an diese Feierstunde zurückdenken.
Aus Liebe zur Arbeit mit und für die Menschen
Neben den Kämpfen in Tarifrunden, dem Stehen auf Streikbühnen und an den Bauch (die Emotionen) der Kolleginnen und Kollegen appellierenden Momenten waren auch diese Jubilarehrungen "Sternstunden", weil ich die Arbeit mit Menschen liebe.
Ich habe ein paar Fotos aus den Jahren 2011 - 2013 ausgesucht, die besonders gut gelungen sind. Auf der Ehrung in Oberhavel (es wurde in Potsdam, Velten und Neuruppin geehrt) kamen zwei Frauen zu spät, der offizielle Teil war fertig und alles am Essen und Trinken. Sie baten um ein Foto mit mir als Geschäftsführer - einen Gefallen, den ich den beiden Kolleginnen nur zu gern getan habe.
Ein Hunderteinjähriger und eine ganz besondere Jubilarin
Im Jahr 2012 war ein ganz außergewöhnlicher Jubilar dabei, den wir auf dem Weg nach Oberhavel in seinem Seniorenpflegeheim besuchten. Bernhard Algermissel war schon 101 Jahre alt und 1927 in die Buchdruckergewerkschaft eingetreten. Wir ehrten ihn für diese 85 Jahre. Er konnte kaum sprechen vor Aufregung und die Zähne fielen dabei raus. Aber er hatte einen Anzug und einen Schlips anlegen lassen und seine engsten Freunde in dem Pflegeheim saßen um seinen Rollstuhl herum. Er war glücklich wie ein kleiner Junge und das hat uns sehr berührt. Er soll immer wieder von dieser einen Stunde gesprochen haben, solange er lebte. Seinen 102. Geburtstag hatte er nicht mehr erlebt. Das zweite ganz besondere Ereignis war 2013 in Potsdam. Da war eine über 80jährige rüstige Seniorin, die noch aktiv im Arbeitskreis der ver.di-Senioren mitgewirkt hat. Die Erika war 65 Jahre Gewerkschaftsmitglied und ich hob sie mir ganz zum Schluss auf und fand ein paar ganz besondere Worte für sie. Sie kam mit einer Krücke auf mich zu und uns beiden war danach, uns zu umarmen und einfach eine Minute lang so stehenzubleiben. Im Saal brandete Applaus auf und Erika ergriff dann mein Mikrofon und sprach ein paar wunderschöne Worte des Dankes an mich und dass sie sich wünscht, dass ich noch viele Jahre Geschäftsführer sein werde. Es war ein wahnsinnig rührende Szene, die ich auch heute, im Jahre 2025, wo ich diesen Text schreibe, nicht vergessen habe.